Krimiautorin Eva Holzmair: „Ich erzähle gerne über Welten, in denen ich mich auskenne“

Porträtfoto der Krimiautorin Eva Holzmair
Eva Holzmair wurde in Korneuburg geboren und ist in Wien aufgewachsen, wo sie nach Abschluss eines Dolmetschstudiums lebt und als Übersetzerin und Konferenzdolmetscherin arbeitet. Sie ist auch literarisch tätig und greift dabei häufig auf den reichen Fundus an Menschen, Themen und Sprachebenen zurück, der ihren sprachmittlerischen Beruf bereichert. Eva Holzmair ist Mitglied der GAV, im Literatukreis Podium sowie in der Plattform Österreichischer Kriminalschriftstellerinnen und -schriftsteller, deren Sprecherin sie von 2016 bis Febraur 2023 war. https://www.evaholzmair.at

Medical Murder Mystery: Dein Krimi „Der Verdrüssliche“ ist ein Kunstkrimi, und zwar ein sehr besonderer, weil das Kunstwerk eine tragende Rolle hat. Wir haben ihn aber auch im Medizinkrimi-Blog besprochen und empfohlen, weil medizinische Themen ebenfalls zentral sind: Haupt- und Nebenfiguren leiden an psychischen oder organischen Erkrankungen. Wie kamst Du auf die Idee, diese Motive zu verschränken?

Eva Holzmair: Ausgangspunkt war der Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt. Als ich begonnen habe, diesen realen Fall zu recherchieren, habe ich entdeckt, dass Messerschmidt an psychischen oder neurologischen Problemen litt. Das ist erwiesen, welche Erkrankung er genau hatte, weiß man nicht, denn es gab ja nicht die heutigen Diagnosen. Es spricht einiges für die neurologische Erkrankung Dystonie, die habe ich meiner Geschichte zugrunde gelegt. Ich habe mich gefragt, wie es für einen Künstler im 18. Jahrhundert gewesen sein muss, an einer Erkrankung zu leiden, für die es noch keine Erklärung, keine Diagnose und keine Therapie gab – und daher auch nicht die Versicherung, dass es sich um Anfälle handelt und nicht um Geister, wie Messerschmidt dachte. Diese Vorstellung hat wohl auch die Arbeit an den Charakterköpfen beeinflusst. Vielleicht hat er sie geschaffen, um seiner Krankheit Herr zu werden. Messerschmidt habe ich eine Künstlerin der Jetztzeit mit einer diagnostizierten und behandelten psychischen Erkrankung gegenüber gestellt, die sich die krankheitsbedingten Phänomene, die sie erlebt, zumindest erklären kann. Mit der dritten Hauptfigur, Carola Broggiato, die den Krimiplot vorantreibt, wollte ich eine Person zeigen, die an einer schweren Erkrankung leidet, aber trotzdem sehr stark ist.

MMM: Bei Messerschmidt gehst Du in den Beschreibungen also von einer Dystonie-Diagnose aus, bei Gitta Hausladen vermutlich von Angst- und psychotischen Störungen. Und diese Diagnosen beschreibst Du sehr genau. Wie hast Du die medizinischen Hintergründe recherchiert?

Eva Holzmair: Ich habe Ärztinnen und Ärzte befragt und viele Berichte Betroffener recherchiert, die beschreiben, wie sie ihre Störungen erleben. Das war mir wichtig, um die Zustände und Gefühlsschwankungen authentisch beschreiben und für Dritte nachvollziehbar machen zu können.

MMM: Ich hatte auch den Eindruck, mit den einfühlsamen Beschreibungen nimmst Du auch Angst vor als unheimlich erlebten Erkrankungen. Aber gehen wir zur Krimihandlung. Eine Rezensentin fasst dein 500-Seiten-Buch als „Krimi ohne Leich‘“ zusammen. Du kommst ganz ohne klassisches Krimizubehör aus wie Leiche, Forensik, Polizeiermittler. Wie waren denn die Reaktionen auf einen Krimi, der diese typischen Zutaten nicht hat?

Eva Holzmair: Die Reaktionen waren natürlich sehr gemischt. Wer einen klassischen Krimi mit Mord und Co. erwartet, wird möglicherweise enttäuscht sein. Aber es geht eben um eine andere Form der Kriminalität, die nicht zuletzt in Österreich weit verbreitet ist, wie wir wissen. Und die gibt aus meiner Sicht ausreichend viel Spannung her. Auch meine früheren Krimis haben selten das klassische Polizeipersonal. Ich kenne die Polizeiarbeit nicht, und ich möchte da nicht in die Klischeefalle tappen. Ich fühle mich wohler, über Welten zu erzählen, in denen ich mich auskenne.

MMM: Du hast „Der Verdrüssliche“ an einen realen Fall angelehnt, in dem es unter anderem ebenfalls um die fragwürdige Provenienz des berühmten Kunstwerks ging. Wir verraten natürlich nicht, wie der Roman ausgeht – aber wie ging eigentlich der reale Fall aus?

Eva Holzmair: Wie viele reale Fälle, der Skandal wurde unter den Teppich gekehrt, es ist nichts passiert. Die Büste steht tatsächlich bis heute im Getty-Museum.  Die Provenienzangaben sind tatsächlich falsch, sie stehen nach wie vor so auf der Website des Museums, obwohl dieses darauf aufmerksam gemacht wurde, und dem Schicksal der Büste in den 1930er und 1940er Jahren wurde nicht nachgegangen.

MMM: Du bist Übersetzerin und Dolmetscherin, du schreibst Erzählungen, Theaterstücke und Krimis. Wie bist Du eigentlich zum Krimi gekommen?

Eva Holzmair: Das erste Buch, das ich 2012 veröffentlicht habe, war ein Krimi. Der Auslöser war ein Besuch des Cimetière Montmartre in Paris. Angesichts der vielen uralten Gräber, darunter solche berühmter Leute, dachte ich mir, dieser Friedhof ist der ideale Schauplatz für einen Krimi mit Heinrich Heines Grab als Mitspieler. Monate später habe ich mich dann hingesetzt und diesen Krimi geschrieben „Mir träumte, du lägest im Grab“, das ist ein Zitat aus Heines Buch der Lieder.

MMM: Ich habe auch einen Medizin-Kurzkrimi von dir entdeckt, „Hauptsache gesund“. Wie kam der zustande? Gibt es mehr solcher Medizingeschichten?

Eva Holzmair: Das war ein kleiner Fortsetzungskrimi, den ich für die Zeitschrift des Apotheken-Unternehmens Team Santé geschrieben habe – die thematische Vorgabe war, dass die Geschichten etwas mit den Apotheken zu tun haben. Eine andere Geschichte mit medizinischen Motiven ist meine Erzählung „Mona Blue“, in der es um eine Bloggerin geht. Sie verschwindet, es stellt sich heraus, dass sie in einer tagesklinischen psychiatrischen Einrichtung betreut wird, und schließlich setzt sie ihren Blog mit Eindrücken und Erfahrungen aus der Psychiatrie wieder fort.

MMM: In „Der Verdrüssliche“ zeigt sich etwas besonders deutlich, was auch andere deiner Texte kennzeichnen: Du spielst genüsslich mit der Sprache, mit Dialekten und Fremdsprachen, mit alter und aktueller Sprache, mit Sprachmelodien von Nicht-Muttersprachlerinnen und -sprachlern. Wie sehr verweben sich da die Übersetzer- und Dolmetscharbeit mit der literarischen Arbeit, wie sehr beeinflusst das einander?

Eva Holzmair: Es ist eigentlich keine gegenseitige Beeinflussung, sondern eine Einbahnstraße. Das Dolmetschen und Übersetzen beeinflussen durchaus mein Schreiben, nicht aber umgekehrt. Beim Dolmetschen und Übersetzen geht es sehr oft um Fachtexte, das hat mit Literatur nichts zu tun. Aber natürlich fallen mir beim Dolmetschen zum Beispiel Akzente auf, oder bestimmte Wortwiederholungen, die Menschen ständig machen, und das verwerte ich beim Schreiben. Ich bin im Dialekt aufgewachsen und den braucht es für bestimmte Figuren auch, damit sie authentisch sind. In der Arbeit an „Der Verdrüssliche“ hat es besonders viel Spaß gemacht, diese alte Sprache zu modellieren, alte Begriffe zu verwenden, die ausgestorben sind, und trotzdem verständlich für heutige Lesende zu bleiben.

MMM: An welchen Projekten arbeitest du gerade, wird bald wieder ein Krimi erscheinen?

Eva Holzmair: Ich arbeite gerade an einem ganz anderen Text, einem Buch über meine verstorbene Mutter und ihre Demenzerkrankung, ein Zwischending zwischen literarischem Text und Bericht. Ein anderes Projekt ist ein Roman, basierend auf einer Kurzgeschichte, die ich in „Tatort Gemeindebau“ erzählt habe und deren Stoff ich jetzt gerne ausführlich behandeln möchte. Das Besondere daran ist, dass sie vollständig vom Ende her beginnend zurück erzählt wird, also in umgekehrter Chronologie.

MMM: Als Übersetzerin und Dolmetscherin beschäftigst du dich natürlich, auch in den Berufsverbänden, mit der Auswirkung von künstlicher Intelligenz auf den Beruf – wie sehr übernehmen Computerprogramme den Job des Menschen. Wie siehst du das auf die Literatur bezogen, werden wir in einem Jahrzehnt nur mehr von künstlichen Intelligenzen geschriebene Krimis lesen?

Eva Holzmair: Mein Verdacht ist ja, dass wir das schon konsumieren, und dass es nur nicht deklariert ist. Im Bereich des Übersetzens ist es so, dass die Programme immer besser werden und sich ganz klar das Berufsfeld verändert – etwa, indem wir zunehmend maschinenübersetze Texte überarbeiten, sodass sie faktisch richtig und sprachlich gelungen sind. In der Literatur zählt hingegen der persönliche Ton des Autors, der Autorin viel mehr, und das fehlt bei Maschinentexten – aber ich wage keine Prognose, wie sich das entwickelt. Ich weiß nur, dass im angloamerikanischen Raum in Verlagen Buchmanuskripte von Algorithmen geprüft werden, bevor sie auf dem Tisch eines menschlichen Lektors landen – oder auch nicht.

MMM: Eine Frage an Dich noch als Krimileserin – welche Krimis begeistern dich besonders, und gibt es Medizinkrimis, die du unseren Leserinnen und Lesern ans Herz legen möchtest?

Eva Holzmair: Unter den Medizinkrimi-Autorinnen, die ich gerne empfehle, sind Patricia Cornwell mit ihrer Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta und Kathy Reichs, selbst ausgebildete Anthropologin, mit ihrer forensischen Anthropologin Temperance Brennan. Beide schreiben klassische Page-Turner. In Eva Rossmanns letztem Krimi „Tod einer Hundertjährigen“ geht es um das Geschäft mit medizinischen Produkten, und Beate Ferchländers aktueller Schmunzel-Krimi „Das Teigtascherldebakel“ spielt im Ärzte-Milieu. Sonstige Krimi-Autorinnen und -Autoren, die mir sehr gut gefallen, sind unter anderem die Isländerin Yrsa Sigurdardottir und die US-Amerikanerin Elizabeth George, deren Krimis in Großbritannien angesiedelt sind – hier ist meine besondere Empfehlung: „Deception on His Mind“, auf Deutsch erschienen als „Denn sie betrügt man nicht“. Weiters die Britin Minette Walters, und natürlich Klassiker wie der Schwede Stieg Larsson und der Schweizer Friedrich Glauser. In Österreich mag ich Ernst Hinterberger, der sehr nahe dran am Wiener Milieu ist, außerdem Wolf Haas, Gerhard Loibelsberger und die Tirolerin Lena Avancini.

Interview: Birgit Kofler

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« Zurück zur Übersicht