Susanne Skriboth-Schandl: „Wenn wir Ärztinnen und Ärzte nach Diagnosen fahnden, suchen wir oft wie Kriminalisten nach Puzzlesteinen“

Foto der Medizinerin und Psychotherapeutin Susanne Skriboth-Schandl
Susanne Skriboth-Schandl ist Kinderärztin und Psychotherapeutin und begeisterte Betreuerin von Kindern und Eltern. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Wien und verbringt ihre Freizeit gerne mit Kochen, Kultur und neuerdings auch mit Schreiben. Und sie ist begeisterte Krimileserin.

Medical Murder Mystery: Eine Frage an dich als Krimifan und als Medizinerin sowie Psychotherapeutin: Gibt es Parallelen zwischen der Kriminalistik und der Medizin?

Susanne Skriboth-Schandl: Wie sich eine Figur entwickelt ist im Krimi oft besonders wichtig. Und das ist natürlich auch in der Pädiatrie, im Kindesalter und bei jungen Erwachsenen, ein zentrales Thema. Eine andere Parallele ist die Suche: Wenn wir Ärztinnen und Ärzte nach der Diagnose fahnden, dann suchen wir oft wie die Kriminalisten nach Puzzlesteinen.

MMM: Wenn du Krimis liest, wie sehr ist da auch die Psychotherapeutin in dir aktiv dabei?

Susanne Skriboth-Schandl: Natürlich interessieren mich die Figuren in Krimis besonders, vor allem die Ermittlerfiguren. Die Psychologie der Personen finde ich spannend, da habe ich sicher auch einen psychotherapeutischen Blick darauf. Ermittlerinnen und Ermittler sind in Serien und Büchern oft nerdig, beziehungsgestört oder schrullig dargestellt. Oft gibt es auch in den Persönlichkeiten von Ermittlern und Tätern Ähnlichkeiten. Duchaus im Sinne von ‚Ich interessiere mich für das, was ich auch in mir trage, wofür ich Affinitäten habe.‘ So sieht man dann unter Umständen auch, wie die Ermittlerin oder der Ermittler straffällig werden, oder bestechlich sind. Ich erinnere mich auch an eine Serie, in der der Serienkiller dann zum Ermittler sagt: ‚Du verstehst mich, Du bist wie ich‘. Das halte ich für einen besonders spannenden Aspekt.

MMM: In der Krimiliteratur gibt es ja neben den Polizeiermittlern auch viele Laienermittlerinnen und -ermittler, die aus den unterschiedlichsten Berufen kommen. Was magst Du lieber, Profis oder Laien?

Susanne Skriboth-Schandl: Ich finde in der Regel schon die professionellen Ermittlerinnen und Ermittler spannender. Bei den Laienermittlern kommt es sehr auf die Figurenzeichnung an, das kann recht lustig und glaubwürdig sein, wie sie in Fälle hineingeraten , aber eben auch sehr an den Haaren herbeigezogen.

MMM: Wie steht es mit Psychiatrie- oder Psychoanalysekrimis, hast Du da Tipps?

Susanne Skriboth-Schandl: Das ist ein sehr interessantes Subgenre. Ich habe gerade einen Krimi von Amanda Cross gelesen, in dem die Patientin eines Psychoanalytikers ermordet wird, und der Analytiker gerät unter Verdacht. Eine spannende Geschichte. Es ist auch das Motiv gut erklärt, warum hier die Literaturprofessorin ein Interesse haben sollte, zu ermitteln.

MMM: Du kennst dieses Milieu, bist selbst Therapeutin, dein Mann ist Psychoanalytiker. Wie gut ist denn diese Welt dargestellt in „Die letzte Analyse“ von Amanda Cross?

Susanne Skribot-Schandl: Es geht hier unter anderem um Details, wie sich eine Analytikerin oder ein Analytiker professionell verhält. Das ist sehr gut recherchiert und beschrieben. Zum Beispiel, dass immer zehn Minuten Pause sind zwischen zwei Sitzungen, damit die Patientinnen oder Patienten einander nicht treffen. Oder auch, dass die Praxis in der Wohnung der Familie ist, und die ganze Familie schleicht leise herum, um ja nicht die Analysestunden zu stören. Ich kenne viele Analytiker, bei denen das so ist. Oder auch, dass sich der Analytiker umzieht, wenn er in der Pause hinausgeht, das sind toll beobachtete Details. Es ist für Analytikerinnen und Analytiker ja sehr wichtig, dass sie immer Neutralität wahren, auch in der Kleidung. Das ist wirklich sehr gut dargestellt, da kann man über das Setting in der Psychoanalyse viel verstehen.

MMM: Gibt es in Krimis nicht relativ wenige Medizinerinnen oder Mediziner als Ermittler?

Susanne Skriboth-Schandl: Es gibt natürlich schon eine Menge Krimis, in denen die Gerichtsmedizinerin oder der Gerichtsmediziner eine wichtige Rolle spielen – da gehört Kay Scarpetta, die Ermittlerin von Patricia Cornwell zu meinen Favoritinnen. Jenseits der Gerichtsmedizin fallen mir nicht so viele ein. Eine Psychiaterin habe ich entdeckt, in den Krimis von Constanze Dennig. (Anmerkung: Zur Besprechung der Alma-Liebekind-Reihe geht es hier, zu einem Interview mit Constanze Dennig hier).

MMM: Welche kürzlich gelesenen Krimis aus dem Medizinmilieu empfiehlst Du unseren Leserinnen und Lesern?

Susanne Skriboth-Schandl: Da fallen mir die Krimis von Edith Kneifl ein, die ja nicht nur Krimiautorin ist, sondern auch Psychoanalytikerin. Ihre Krimis greifen zwar auch ganz andere Themen auf, aber sie kommt aus dem Gesundheitswesen. Empfehlen möchte ich auch die Reihe um eine Gefängnisärztin von Anna Simons. Und unter den vielen spannenden Büchern von Tess Gerritsen, die ja ursprünglich Medizinerin war, besonders den Roman Schwesternmord aus der Jane-Rizzoli-Serie, in der die Detektivin der Bostoner Mordkommission ein besonders grausames Verbrechen aufzuklären hat.

MMM: Es gibt sicher bei dir Arbeitstage, die besonders belastend sind. Ist dann ein Krimi eine gute Möglichkeit für dich, zu entspannen?

Susanne Skriboth-Schandl: Ja, durchaus. Früher habe ich mich gern mit Spitalserien entspannt nach einem anstrengenden Nachtdienst, heute greife ich gern zum Krimi. In einigen dieser Ärzteserien, siehe zum Beispiel Dr. House, wird ja auch regelrecht detektivisch gearbeitet, da sind wir ja schon wieder an der Schnittstelle zwischen Medizin und Krimi.

MMM: Du liest gerne Krimis, Du erlebst in Deinen beiden Tätigkeitsbereichen viel Interessantes. Kommt es Dir da einmal auch in den Sinn, das alles als Stoff für eigene Krimis oder andere Geschichten zu erarbeiten?

Susanne Skriboth-Schandl: Ja, absolut, das interessiert mich sehr, ich denke darüber nach und besuche Schreibworkshops. Die Geschichten würden dann auch durchaus in medizinisch-therapeutischen Settings angesiedelt sein. Aber es ist natürlich ein Zeitproblem mit den beiden Berufen. Der Beruf der Ärztin oder des Psychotherapeuten hat nicht zuletzt auch etwas sehr Moralisches – wahrscheinlich ist es da auch ein entspannender Ausgleich, wenn ich lesend – oder auch schreibend – einmal auch gemein sein darf.

MMM: Dann hoffen wir doch sehr auf neue Psychotherapeutinnen-Krimis. Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Birgit Kofler

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