Autorin Jennifer B. Wind: „In Krimis lassen sich wunderbar relevante und aufrüttelnde Themen verpacken“

Jennifer B. Wind schreibt Krimis, Thriller und Romane für Jugendliche und Erwachsene und ist regelmäßig auf den Bestsellerlisten in Deutschland und Österreich vertreten. Sie hat zahlreiche Drehbücher, Theaterstücke und preisgekrönte Kurzgeschichten veröffentlicht, schreibt für Magazine und Zeitungen und fördert als Jury-Mitglied verschiedener Literaturfestivals junge Autoren. Die ehemalige Flugbegleiterin mit Klavier-, Gesangs- und Schauspielausbildung betreibt gerne Sportarten mit Nervenkitzel, züchtet Orchideen und zeichnet. In ihren Krimis verarbeitet sie immer wieder medizinische Themen. 2020 erschien ihr Medizinthriller “Die Maske der Schuld”, in dem es um Medikamentenstudien, um das Leben von an Multipler Sklerose erkrankten Menschen, sowie um pflegende Angehörige und deren Überforderung geht.

Medical Murder Mystery: Du hast dich in verschiedenen deiner Bücher immer wieder mit Medizinthemen beschäftigt: Woher kommt dein Interesse an dem Thema?

Jennifer B. Wind: Ich habe mich schon als Kind für Naturwissenschaft und Medizin begeistert. Und für Untersuchungen alles aufgeschnitten, zum Beispiel den Kopf von Barbie, um zu sehen, ob da ein Gehirn drin ist. Ich hatte ursprünglich vor, Medizin zu studieren. Das ist dann aus verschiedenen Gründen nichts geworden, aber ich bin weiterhin an medizinischen und psychologischen Themen sehr interessiert.

MMM: Und in deinen Büchern setzt du dieses Interesse auch immer wieder um. Der Thriller, bei dem Medizinthemen die wichtigste Rolle spielen, „Die Maske der Schuld“, erschienen 2020. Kannst Du die wichtigsten Themen kurz zusammenfassen?

Jennifer B. Wind: Das ist ein reiner Medizinthriller, mit einem Ermittler, der hier seinen zweiten Fall löst. Die Ermittlungen führen ihn in die Selbsthilfeszene. Die Krankheit, um die es geht, ist Multiple Sklerose: Betroffene klammern sich hier oft an jeden Strohhalm, weil die Erkrankung nach wie vor nicht heilbar ist. Bei der schubförmigen Krankheitsform kann man mit Medikamenten die Schübe gut hinauszögern, bei der progredienten Form geht es rasch bergab. Es gibt immer wieder Medikamentenstudien mit neuen Substanzen, oft sind die Nebenwirkungen allerdings erheblich, sodass sich schon oft die Frage der Kosten-Nutzen-Relation stellt. 

MMM: Wie kamst du gerade auf diese Erkrankung und wie bist du bei deinen Recherchen vorgegangen?

Jennifer B. Wind:  Nach einem Bandscheibenvorfall mit einer Operation 2010 war ich mehrmals auf Reha. Diese findet in Rehazentren statt mit Spezialgebiet Neurologie. Das bedeutet, dass hier auch Menschen mit MS, ALS, Schlaganfällen und ähnlichem behandelt werden. Während der verschiedenen Reha-Aufenthalte habe ich viele Betroffene kennengelernt und hatte immer vor, zu diesem Thema zu schreiben. Erst vor zwei Jahren habe ich bei einer Ausstellung der MS-Gesellschaft Wien mitgemacht. In meinem Buch beschreibe ich die Nöte der schwer kranken Menschen, die Ängste, die besonders schlimm sind, weil diese Krankheit so unberechenbar ist und man nie genau weiß, wie es einem am nächsten Tag gehen wird. Mit diesen Ängsten wird das große Geschäft gemacht, weil man einfach alles versucht in so einer Situation. Das andere wichtige Thema, das ich in dem Buch aufgreife, ist die Belastung, der die pflegenden Angehörigen ausgesetzt sind. Es gibt so viele Menschen, die Angehörige pflegen bis in die Überforderung hinein. Wir müssen das sehen und aussprechen, dass neben dem kranken Menschen auch der oder die pflegende Angehörige massiv leidet. Da braucht es viel mehr Unterstützung, auf vielen Ebenen. All diese Aspekte habe ich in diesen Thriller gepackt. Alles meine Bücher beschäftigen sich auch mit gesellschaftlich relevanten Themen.

MMM: Das heißt, vieles der Recherche hast du durch das Kennenlernen von Betroffenen gemacht?

Jennifer B. Wind: Ja, ich konnte natürlich viele Schicksale einfließen lassen, weil ich viele Betroffene kennengelernt habe. Mir ist auch aufgefallen, dass es über andere Krankheiten wie ALS oder Parkinson Filme gibt, Romane, aber dass MS in Unterhaltungsmedien kaum vorkommt.

MMM: Es fällt auf in deinen Büchern, dass von den beschriebenen Orten bis zu Krankheitsdetails sehr vieles realitätsgetreu beschrieben ist. Wo hast Du dir in „Die Maske der Schuld“ im Bezug auf die Medizin kreative Freiheiten erlaubt? Ich hoffe, bei gewissen Wissenschaftlern und ihren Experimenten an Menschen?

Jennifer B. Wind: Ja, das ist erfunden, absolut. Aber insgesamt ist „Die Maske der Schuld“ sehr realitätsnahe, wie alle meine Bücher. Das gilt auch für alle Ermittlungshandlungen, ich bin ja mit einem Polizisten verheiratet und habe da einen kurzen Rechercheweg. Aber aus Spannungs- und dramaturgischen Gründen erlaube ich mir auch bei der Beschreibung des Ermittlungsalltags meine Freiheiten. So setze ich einen pensionierten Beamten aus dem ersten Buch in dieser Geschichte als Undercoverermittler in der Selbsthilfegruppe ein, das würde so in der Realität wohl nicht passieren. Aber das sorgt für humorvolle Szenen, die einfach bei so harten und schweren Themen wichtig sind, um dazwischen einmal Luft zu holen. Ich erkläre diese Abweichungen von der Realität dann auch oft im Nachwort. Generell ist mein Anspruch, Dinge sehr genau und korrekt zu beschreiben.

MMM: Du recherchierst sehr detailgenau. Wie gehst Du da vor, besonders bei Themen, bei denen du dich nicht so gut auskennst – sind es dann vor allem Interviews mit Fachleuten oder Literatur?

Jennifer B. Wind: Internetrecherchen sind mir da zu wenig. Ich möchte die Dinge sehen, riechen, spüren. In meinen Büchern kommen keine Orte vor, die ich nicht selbst kenne. Ich recherchiere sehr tief, daher dauert es oft auch einige Jahre, bis ein Buch fertig ist, weil das alles seine Zeit braucht. Das nächste Buch „Wo das Böse regiert“, das im Februar 2023  herauskommen wird, behandelt das Thema der Säureattentate, vor allem in Bangladesch. Da habe ich mit Opfern gesprochen, ich war in Agra, Indien, wo von Säureopfern ein Café betrieben wird. Manchmal erlauben mir Recherchepartnerinnen und Recherchepartner sogar, ihren wirklichen Namen im Buch zu verwenden, für andere ist Anonymität wichtig. Ich frage auch Fachleute für das jeweilige Gebiet, das ergibt ein großes Bild. Ich erlebe auch, wie manche Themen Leserinnen und Leser aufrüttle – wobei es manchmal mit der Verlagssuche schwierig sein kann, wenn die Themen „schwer“ sind.

MMM: Lass uns zu deinen Verlagen kommen: Du bist in klassischen Krimiverlagen wie Emons oder Gmeiner, aber auch in Edition M von Amazon Publishing vertreten. Wie sind deine Erfahrungen?

Jennifer B. Wind:  Es ist eine interessante Erfahrung, mit einem so großen Verlag wie Edition M von Amazon Publishing zu arbeiten. Da gibt es zum Beispiel ein Entwicklungslektorat zur Unterstützung bei der Stoffentwicklung, es gibt mehrere Lektoratsdurchgänge, ein sehr gutes Korrektorat. Große Verlage haben auch bei Veranstaltungen viele Möglichkeiten. Viel habe ich auch mit dotbooks gemacht, der sehr viel für die Autorinnen und Autoren macht. Ein Unterschied zwischen großen und kleineren Verlagen ist allerdings auch, dass man bei manchen „Großen“ sofort wieder raus ist, wenn man nicht bestimmte Umsatzziele erreicht, da werden unter Umständen auch Reihen abgebrochen.

MMM: Du bist nicht nur Vielschreiberin, sondern auch Vielleserin. Wie sieht es mit deinen Krimivorlieben aus?

Jennifer B. Wind: Was ich nicht mag sind blutige Killer-Thriller. Ich mag Krimis, bei denen noch mehr dahinter ist, die leiseren Bücher mit psychologischem Tiefgang, zum Beispiel die psychologisch angelegten Thriller von Jodi Picoult. Ich mag auch gesellschaftskritische Thriller und Krimis, da ist für mich Veit Etzold ganz stark. Anita Shreve, die leider schon verstorben ist, hat eine Reihe von Krimis geschrieben, die hinter die Kulissen der jeweiligen Milieus blicken und wo es oft um Menschen geht, die etwas erleben, was jedem und jeder von uns zustoßen kann. Da ist sie eine große Meisterin. Etwas allgemeiner könnte man sagen, nachvollziehbare Motive bei den Tätern, und eine realistische Darstellung von Ereignissen und Entwicklungen, das sind Elemente, die mir als Leserin im Krimi und Thriller wichtig sind. Gudrun Lerchbaum ist da auch eine klare Empfehlung, mit Lügenland zum Beispiel. Gut recherchierte historische Krimis sprechen mich auch an, allerdings lege ich viele auch rasch wieder weg, wenn die Sprache sich gar keine Mühe macht, zur Zeit zu passen. Da bin ich sehr pingelig. Ich lege auch Krimis gleich wieder weg, bei denen in Österreich ein Kommissar vorkommt – die Mühe sollte man sich schon machen, herauszufinden, dass es bei uns Inspektoren gibt oder Majore oder was auch immer, aber eben keinen Kommissar.

MMM: Jetzt muss ich Dich natürlich noch nach Medizinkrimis fragen, die dich beeindruckt haben – schließlich sind wir ein Medizinkrimi-Blog.

Jennifer B. Wind: Tess Gerritsen ist jedenfalls eine meiner Lieblingsautorinnen in diesem Bereich. Durch sie bin ich eigentlich auch zum Krimischreiben gekommen. Im Speziellen hat mich „Die Chirurgin“ sehr beeindruckt, anschließend habe ich alle Bücher von Tess Gerritsen gelesen. Bei Karen Slaughter ging es mir ähnlich.

MMM: Also bist Du über einen Medizinkrimi zum Krimischreiben gekommen?

Jennifer B. Wind: Ja, weil mir diese Vorbilder gezeigt haben, dass man in einen Krimi sehr gut relevante Themen verpacken kann, über die reine Ermittlerhandlung hinaus. Und sonst waren auch die Mörderischen Schwestern ganz wesentlich für mich, mich mit meinen Texten nach draußen zu wagen.

*Anmerkung: Dieser Text wurde am 4.2. in Abstimmung mit der Interviewpartnerin nochmals bearbeitet.

Interview: Birgit Kofler

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