Eva Holzmair: Der Verdrüssliche

Buchcover "Der Verdrüssliche" von Eva Holzmair, man sieht auf dem cover die gleichnamige Skulptur von F.X. Messerschmidt

„Der Verdrüssliche“ ist jedenfalls ein Kunstkrimi, zudem noch einer, der einen realen Fall erzählt. „Der Verdrüssliche“ ist aber auch ein Medizinkrimi, denn Haupt- wie Nebenfiguren leiden an verschiedensten neurologischen, psychiatrischen und organischen Erkrankungen. Und in jedem Fall ist „Der Verdrüssliche“ ein sehr besonderer Krimi, in dem die Autorin Eva Holzmair (hier geht es zum Interview mit der Autorin) sensibel und gekonnt drei Erzählstränge miteinander verwebt, lustvoll mit altertümlicher und moderner Sprache, mit Dialekt und Akzenten oder fremdsprachigen Einsprengseln spielt, und gekonnt aus völlig unterschiedlichen Welten glaubwürdig und nachvollziehbar berichtet. Eine Geschichte, die ihre ganzen 500 Seiten lang Freude macht.

Seinen Titel verdankt der Roman einem der berühmten Charakterköpfe des Barock-Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt. Dass der Künstler an einer sehr belastenden Erkrankung litt, die mit starken, unkontrollierbaren Krämpfen einherging, ist ebenso belegt wie die Tatsache, dass sich Messerschmidt angesichts der unerklärlichen Attacken von Geistern verfolgt fühlte. Eva Holzmair greift eine rezente Theorie auf, dass es sich nach heutigem medizinischem Wissen wohl um eine schwerwiegende Form der Dystonie, eine neurologische Bewegungsstörung, gehandelt haben dürfte. Im Prolog sind die Beschwerden eindrücklich beschrieben: „An einem heißen Frühsommertag des Jahres 1781 schaut ein in zerschlissenen Beinkleidern und fleckigem Schurz gekleideter Mann mit flackerndem Blick hoch zur Decke seines Hauses im Preßburger Vorort Zuckermandel und flucht: ‚Ihr Flöhbeutel, ihr erbärmlichen. Aus dem Hinterhalt dackeln, das könnt ihr gar bald, aber aufrecht kämpfen, nein. Zur Höll mit euch Galgenschwengel, vermaledeites Gesindel! Seine Stirnadern treten hervor, er reckt das Kinn, zieht am Strick, den er um seinen Hals gezurrt hat. Die Haut wund gescheuert, blutig. Krämpfe durchzucken sein Gesicht.“

Auf der Dystonie-These beruht auch die Vermutung, dass Messerschmidt in den verzerrten Gesichtern seiner Charakterköpfe seine eigenen Krämpfe dargestellt haben dürfte. Das Leben des Bildhauers und seinen eigenen Werdegang als Skulptur erzählt einer der Charakterköpfe, eben der „Verdrüssliche“, der auch den Buchcover ziert, in höchst gelungener altertümlicher Sprache.

Dem zeitlebens unverheiratet und kinderlos gebliebenen Barockkünstler stellt die Autorin eine Künstlerin der Jetztzeit gegenüber, die mäßig erfolgreiche Malerin Gitta Hausladen, Mutter eines Buben im Volksschulalter, die an Angst- und psychotischen Störungen leidet. Im Gegensatz zu Messerschmidt hat sie eine Diagnose, ist in Therapie und kann sich die Zustände erklären, die sie immer wieder befallen. „Der Verdrüssliche“ ist Gitta vertraut, hat sie doch in die Familie des letzten Eigentümers der Büste eingeheiratet und den Alabasterkopf auch schon auf Leinwand gebannt.

Schließlich gibt es noch die Hauptprotagonistin der eigentlichen Krimihandlung, Dr. Carola Broggiato, eine pensionierte Mitarbeiterin des Bundesdenkmalamtes, die unter einer Krebserkrankung leidet. Von dieser beeinträchtigenden und lebensbedrohlichen Krankheit lässt sich sie allerdings nicht abhalten, gemeinsam mit mehreren Helferinnen und Helfern einer Reihe von Ungereimtheiten nachzugehen, die sie im Zusammenhang mit dem Messerschmidt-Kopf entdeckt. Wie war es möglich, dass für das wertvolle österreichische Kulturgut überhaupt eine Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde, als es um einen Millionenbetrag an das Getty Museum in Los Angeles verkauft wurde? Wieso sind die Provenienzangaben unvollständig, und in wessen Händen war die Skulptur zwischen 1939 und 1945? Welche Rolle spielt die Republik bei den seltsamen Vorgängen? Und warum steht „Der Verdrüssliche“ nicht im Belvedere, wo er nach Carolas Meinung eigentlich hingehörte?

Das Interesse der erfahrenen Kunsthistorikerin am „Verdrüsslichen“ ist allerdings nicht nur beruflicher Natur, wie man zunehmend versteht: Schließlich war sie jahrelang die heimliche Geliebte des vormaligen Besitzers des Kunstwerks, des Kunsthändlers Wilfried Hausladen. Gittas Schwiegervater also – und so beginnen die einzelnen Stränge sich auch immer deutlicher zu verbinden, bis sie in einem vergnüglichen und durchaus überraschenden Finale zusammengeführt werden, und bis aufgelöst wird, was so mancher gerne unter den Teppich gekehrt hätte.

Eva Holzmair zeigt hier, wie Krimi auch gehen kann: Es ist ihr eine Kriminalgeschichte gelungen, die ganz ohne das übliche und erwartbare Zubehör wie Leiche, Forensik und Polizeipersonal auskommt und der doch nichts an Spannung fehlt. „Der Verdrüssliche“ bereitet Lesevergnügen, und wird nicht nur für Kunstliebhaberinnen und -liebhaber spannend sein. Sprachlich gelungen – jede Figur hat erkennbar ihre eigene Stimme –, dramaturgisch geschickt gebaut und gründlich recherchiert ist der Roman rundum empfehlenswert.

Eva Holzmair, Der Verdrüssliche. Gmeiner Verlag 2021, ISBN 978-3-8392-2811-1

 

Zur Autorin: Eva Holzmair wurde in Korneuburg geboren und ist in Wien aufgewachsen. Die Autorin lebt und arbeitet in Wien. Seit Jahren ist die studierte Dolmetscherin zudem literarisch tätig. Sie veröffentlicht Prosa und Theaterstücke. Eva Holzmair ist Mitglied im GAV, im Literaturkreis Podium sowie in der Plattform Österreichischer Kriminalschriftstellerinnen und -schriftsteller. www.evaholzmair.at

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« Zurück zur Übersicht