Jack Jordan: Die Herzchirurgin

Eine Ärztin könnte ihn wohl durchführen, den perfekten Mord. Doch lässt sie sich dafür instrumentalisieren? Wie hoch muss der Druck auf sie sein, dass eine Medizinerin den hippokratischen Eid, den sie geschworen hat, zu brechen – nämlich niemals den Patientinnen und Patienten zu schaden?

Das sind einige der Fragen, die Jack Jordon in seinem neuen Thriller „Die Herzchirurgin“ gekonnt thematisiert. Und mit denen er uns mitnimmt auf einen Horrortrip, der die Hauptprotagonistin in kaum erträgliche Situationen bringt.

Zentrale Figur ist die renommierte Londoner Herzchirurgin Anna Jones, die für ihren Beruf und ihre Patientinnen und Patienten brennt. Dass hinter der Fassade der Erfolgsfrau eine zerbrechliche oder vielleicht sogar instabile Persönlichkeit verborgen ist, wird schon auf den ersten Seiten erstmals deutlich. Anna leidet offenbar an einer seltenen psychischen Störung, der Trichotillomanie: Betroffene reißen sich zwanghaft Wimpern, Augenbrauen oder andere Körperhaare aus, bei manchen schließt die Krankheit den Zwang ein, diese danach zu schlucken. Anna ist geschieden, von einem wenig erfolgreichen Ehemann, der ständig in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken scheint. Und sie ist alleinerziehende Mutter ihres Sohnes Zack, der eine wichtige Rolle in diesem Plot spielen wird und dem gegenüber sie ein schlechtes Gewissen hat: Schließlich wirft er seiner Mutter vor, die Arbeit sei ihr immer wichtiger als er.

Denn nach einem harten Tag in der Klinik trifft Anna in ihrem Haus statt auf Zack und ihre hilfsbereite Nachbarin Paula, die sich in Annas Abwesenheit um den Jungen kümmert, düstere Gestalten an, die nicht nur das Haus mit Überwachungsequipment ausstatten, sondern ihr eine grausame Forderung unterbreiten. Der beliebte Labour-Politiker Ahmed Shabir, der schon als möglicher nächster Premierminister gehandelt wird, soll demnächst für einen bereits länger geplanten herzchirurgischen Eingriff auf Annas OP-Tisch liegen. Und sie soll dafür sorgen, dass er diese Operation nicht überlebt, sonst wird der achtjährige Zack sterben. Morden, um das Kind zu retten? Gibt es überhaupt eine Wahl?

Während Anna vor dieser unvorstellbar grausamen Entscheidung steht, kommt eine andere starke, doch ebenso brüchige Protagonistin ins Spiel – die Kriminalbeamtin Rachel Conaty. Sie muss den Mord an Annas Nachbarin aufklären, die den Angriff der brutalen Erpresser und Zacks Entführung nicht überlebt hat. Rachel, die der Fall schon deshalb auch emotional mitnimmt, weil sie vor Jahren selbst ihren Sohn verloren hat, was bei ihren Vorgesetzten zu Zweifeln an ihren Hypothesen führt. Die Kriminalistin ahnt, dass mehr hinter dem scheinbar sinnlosen Mord an einer harmlosen, hilfsbereiten Frau steckt. Doch es fehlen ihr die Beweise, und die von ihren Erpressern lückenlos überwachte Anna kooperiert nicht.

Eine dritte Frau treibt die Geschichte voran und gerät ebenfalls in eine Extremsituation: Die OP-Schwester Margot. Sie ist in finanziellen Nöten und bestiehlt ihre Kollegen. Kurz bevor Margot auffliegt, macht sie eine erschreckende Beobachtung, die sie in große Gefahr bringt.

Die Geschichte ist relativ kleinteilig in 62 Kapitel gegliedert, jedes Kapitel ist aus der Perspektive einer der drei Frauen erzählt, was für eine rasches Tempo sorgt, für jede Menge Cliffhanger gut ist und die Spannung hoch hält, bis zum überraschenden Ende. Die medizinischen Fakten sind gut recherchiert, der Krankenhausalltag durchaus realistisch dargestellt. Keine der drei zentralen Protagonistinnen, die sorgsam entwickelt sind, aber doch etwas schematisch bleiben, hat das Zeug, der Leserin wirklich ans Herz zu wachsen, als Sympathieträgerinnen taugen sie nicht wirklich, als Trägerinnen der spannenden Handlung allemal. Der Plot scheint mir gekonnt und professionell gedrechselt, allerdings dann doch immer wieder etwas gar dick aufgetragen. Braucht eine Geschichte mit einem Hauptdilemma, das höchst spannungsgeladen ist, tatsächlich so viele zusätzliche Dosissteigerungen? Trotzdem: Wer Medizinthriller mag, die gut recherchiert sind, in denen die Medizinwelt nicht nur als banale Kulisse vorkommt, sondern Zentrum des Plots ist, und in denen komplexe Handlungsstränge gekonnt aufgelöst sind, sollte zu „Die Herzchirurgin“ greifen.

Jack Jordan. Die Herzchirurgin. Originaltitel: Do no harm. Übersetzung: Sigrun Zühlke. Droemer Knaur Verlag 2023. ISBN 978-3-426-28387-5

 

Der britische Autor Jack Jordan startete zunächst erfolgreich als Self-Publisher. Er hat bereits eine Reihe von Thrillern veröffentlicht, die in Großbritannien, Kanada und Australien bei Amazon Nr.-1-Bestseller waren. Die Idee zum Medizinthriller „Do no harm“ kam ihm nach eigenen Angaben, als er sich selbst einem kleinen chirurgischen Eingriff unterziehen musste.

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