Matthias Clostermann: Protoyp

Buchcover Prototyp

Hightech-Neuroprothesen, die vom Gehirn ihrer Nutzerin oder ihres Nutzers gesteuert werden können – und möglicherweise nicht nur von dem. Eine Ärztin und ein Forscher, die ermordet werden. Ein Patient, der gewissermaßen zum Prototyp wird: Das sind einige der Elemente, aus denen Matthias Clostermann seinen Polit-, Hightech- und Medizinthriller „Prototyp“ zur spannenden und immer wieder auch überraschenden Lektüre zusammenbaut.

Der junge Elitesoldaten Stefan Roth steht kurz vor einem Kampfeinsatz, als er einen schweren Motorradunfall hat. Als er aus einem langen Koma erwacht, muss er feststellen, dass er – der fitte, sportliche, agile Kämpfer – bei dem Unfall beide Arme und Beine verloren hat. Wie soll er mit diesem Handicap zurecht kommen?

Als Testperson ins Geheimprogramm

Geheimnisvolle Besucherinnen und Besucher bieten ihm eine unerwartete Ausweg an. Er bekommt das Angebot, als Testperson im Rahmen eines geheimen militärischen Forschungsprogramms der Europäischen Union an einem Therapieversuch für eine völlig neuartige Generation von Neuroprothesen teilzunehmen. Diese Hightech-Roboter-Gliedmaßen, verbunden mit den Muskeln und Nerven seines Körpers, kann er mit seinem Gehirn steuern. Die Operationen gelingt, ebenso das harte, langwierige Training, um mit den modernen Prothesen optimal umgehen zu können.

Die dunklen Seiten der Forschung

Doch die segensreiche Forschung, die Stefan Roth seine physischen Möglichkeiten zurückgibt, hat auch ihre dunkle Seite – und so geht es für den Protagonisten und die Leserinnen und Leser bald auf einen gespenstischen Trip. Denn nicht nur er selbst kann seine künstlichen Gliedmaßen steuern, doch wer kontrolliert und instrumentalisiert ihn? Als der freundliche, aber geheimnisvolle Leiter der Forschungsgruppe und Stefans behandelnde Ärztin brutal ermordet werden, nehmen die Dinge eine Wendung, die dem Ex-Soldaten zunehmend gefährlich wird. Gemeinsam mit seiner Physiotherapeutin und einem jungen IT-Spezialisten aus der wissenschaftlichen Einrichtung, in der er betreut wird, flüchtet er macht Jagd auf diejenigen, die versuchen, ihn als Prototyp einer menschlichen Waffe zu missbrauchen – und ist dabei auch selbst Gejagter. Ein längerer Showdown, in dem es auch hart und brutal zur Sache geht. Doch wer steckt dahinter, und welchen Plan verfolgen die Unbekannten?

Hybridexistenz Mensch-Maschine

Die Neuroprothesen, die  Matthias Clostermann hier weiterentwickelt, könnten fast aus Elon Musks KI-Laboren stammen, die kürzlich den Prototyp eines „menschlichen“ Roboters präsentierten. Bei Clostermann aber verschmelzen Mensch und Maschine zu einer unheimlichen Hybridexistenz. Wer hinter dem besorgniserregenden Experiment steht, dazu bekommen wir jede Menge – auch falscher – Fährten und unbestimmte Hinweise. Zunächst klingt es ja einmal wie eine hervorragende Nachricht für Menschen, die ihre Gliedmaßen verloren haben, was das Forschungsprogramm da zuwege gebracht hat. Doch die Story wäre kein Thriller, würde nicht weit mehr hinter den neuronalen Prothesen stecken.

Die Figuren fügen sich gut zueinander, kommen recht authentisch daher, auch wenn nicht bei allen in gleicher Weise Tiefe und Glaubwürdigkeit gelungen ist. Jedenfalls sind sie immer wieder sind auch für Überraschungen gut und nicht immer sind  die ersten Eindrücke zuverlässig, wer hier auf Seite der Guten oder der Bösen steht.

Nahe an realen Entwicklungen

Clostermann setzt mit seiner Hightech-Versuchsanordnung nahe an den tatsächlichen Entwicklungen an, die Medizin und Ingenieurwissenschaften  seit einigen  Jahren erfolgreich vorantreiben: Neuronale künstliche Gliedmaßen sind keineswegs nur Zukunftsmusik, schon heute gibt es bionische Prothesen, die durch Gedanken gesteuert und bewegt werden können. Darauf baut er seine spannend und schlüssig durchdachte futuristische Entwicklung auf, macht daraus aber eine heikle Errungenschaft, die Segen und Fluch vereint. Die technischen Details werden gut vermittelt.

Der Autor erzählt in einer gut zum Thema passenden knappen, schnörkellosen Sprache, mit der aber bildhaftes Schildern hervorragend gelingt: Das liest sich flüssig, er hält die Spannung nicht nur, sondern steigert sie bis in ganz unerwartete Umdrehungen hinein. Apropos Sprache – weniger im Roman selbst, aber besonders in den Vermarktungstexten wünscht man sich im Jahr 2022 doch etwas ausgeprägtere Sensibilität: Der Begriff „hilfloser Krüppel“ gleich im Klappentext, um einen Menschen mit Handycap zu  beschreiben – das geht gar nicht.

Fazit: Wer High-Tech- und Medizin-Thriller, Politspannung und eine Prise Verschwörungsgeschehen mag, ist sehr gut bedient mit diesem futuristischen Thriller. Eine empfehlenswerte Spannungslektüre auf jeden Fall, auch wenn nicht das ganze Potenzial für Perspektive und differenzierte Beschäftigung ausgespielt wird, die das hochaktuelle Thema bietet.

Matthias Clostermann. Prototyp. Braumüller Verlag Wien, 2021. 298 Seiten. ISBN-13: 978-3-99200-315-0

Zum Autor: Matthias Clostermann ist Gründer und Geschäftsführer mehrerer Unternehmen für digitale Content-Erstellung und Robotik. Kreativität und Technikaffinität sind seit jeher die Triebfedern seiner Arbeit. Mit 14 Jahren begann er, als Special-Effects-Artist für deutsche Fernsehproduktionen zu arbeiten. Ihn interessieren Erlebniswelten, die digitales Story-Telling mit realen Kulissen und Animatronik verbinden. Der gebürtige Deutsche aus Hagen lebt auf Zypern.

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