Saskia Gauthier: Der Fluch der Aargauer Knochen
Zwischen Knochen und Karriere: Lisa Klees dritter Fall führt uns ins Freiamt

Vor einigen Monaten haben wir im ausführlichen Interview mit der Gerichtsmedizinerin und Krimiautorin Saskia Gauthier über ihre Krimireihe um Lisa Klee gesprochen. Jetzt ist der dritte Band um die sympathische und erfrischend unperfekte Assistenzärztin erschienen. In „Der Fluch der Aargauer Knochen“ startet Lisa nach ihren Fällen in Zürich und im Glarnerland beruflich im Aargau neu durch – und gerät prompt gleich in einen Fall, der es in sich hat.
Neue Umgebung, neue Herausforderungen
Als neue Assistenzärztin am Rechtsmedizinischen Zentrum Aargau steht Lisa doppelt unter Druck: Einerseits muss sie sich während ihrer Probezeit vor kritischen Vorgesetzten sowie Kolleginnen und Kollegen beweisen, andererseits beschäftigt sie ein mysteriöser Fall, der mit einem Knochenfund beginnt. Was zunächst – zumindest in Lisas Erstdiagnose – ein harmloser Tierknochen zu sein scheint, entpuppt sich als Teil eines menschlichen Skeletts. Die Situation wird noch angespannter, als der Besitzer des Grundstücks, auf dem der unheimliche Fund aufgetaucht ist, tot im Wald gefunden wird.
Als auch noch der Nachbar unter verdächtigen Umständen verschwindet, taucht Lisa gemeinsam mit ihrer Freundin Cynthia Smith und Staatsanwalt Ben Graf tief in die Ermittlungen ein. Es folgt ein geschickt konstruierter Plot, der moderne forensische Methoden mit lokalen Mythen und einer düsteren Geschichte aus der Vergangenheit des Freiamts verwebt.
Was ich an Saskia Gauthiers Krimireihe besonders mag, ist die gelungene Balance zwischen fundiertem Fachwissen und lebendigen Charakteren. Die detaillierten Beschreibungen gerichtsmedizinischer Verfahren, zum Beispiel von DNA-Analysen oder toxikologischen Untersuchungen, vermitteln ein authentisches Bild der Arbeit der Expertinnen und Experten. Gleichzeitig lernen wir Lisa Klee als vielschichtige Protagonistin kennen, die alles andere als perfekt ist. Das schafft sympathische Momente, die den ernsten Berufsalltag durchbrechen. Die Dynamik zwischen Lisa, ihrer Freundin Cynthia und dem Staatsanwalt Ben Graf sorgt für zusätzliche emotionale Tiefe und zeigt Lisa in einem neuen sozialen Gefüge, das ihre Persönlichkeit noch facettenreicher erscheinen lässt als in den vorherigen Fällen.
„Der Fluch der Aargauer Knochen“ fängt lokale Besonderheiten des Aargaus und des Freiamts ein. Die Landschaft, die kulturellen Eigenheiten und historischen Bezüge bereichern die Erzählung und geben dem Kriminalfall einen ungewöhnlichen Kontext. Der neue Roman von Saskia Gauthier wirft moralische und ethische Fragen auf, nicht zuletzt zur Verantwortung der Wissenschaft bei der Aufklärung von Verbrechen.
Entwicklung einer Heldin
Im dritten Band der Reihe sehen wir eine Lisa Klee, die an ihren Herausforderungen wächst. „Jetzt entwickelt sie sich auch ein Stück weit von mir weg. Ihre Grundcharakterzüge werden bleiben, aber sie wird ihre eigenen Wege gehen“, hat Saskia Guthier vergangenen Herbst im Interview mit Medical Murder Mystery angekündigt. Tatsächlich wird diese Entwicklung deutlich. Der Druck durch die Chefetage, die berufliche Unsicherheit während der Probezeit und die komplexen Anforderungen des Falls zwingen Lisa, über sich hinauszuwachsen und ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Der dritte Band ist auch für Neueinsteigerinnen und -einsteiger gut zugänglich, die die vorangegangenen Fälle von Lisa Klee nicht kennen. Gleichzeitig macht für Fans der bisherigen beiden Geschichten die Konsistenz und Weiterentwicklung der Hauptfigur das Weiterlesen besonders spannend.
Saskia Gauthier entwickelt hier wieder eine Kriminalgeschichte, die auf übermäßige Gewaltdarstellungen verzichtet und auf Atmosphäre, interessante Persönlichkeiten und kluge Ermittlungsarbeit setzt. Auch dieser Roman bietet durch den medizinischen Fokus und die wissenschaftlichen Details wieder einen besonderen Mehrwert für Leserinnen und Leser, die sich für die forensischen Wissenschaften interessieren. Die bildhafte Darstellung der Untersuchungen verzichtet auf jedes reißerische Element und vermittelt Fachwissen auf zugängliche Weise – ein Nebeneffekt, der geschickt in die spannende Handlung eingewoben ist. Fazit: Ein gelungener dritter Akt.
Mit „Der Fluch der Aargauer Knochen“ entwickelt Saskia Gauthier ihre Reihe gekonnt und konsequent weiter. Die Kombination aus einem spannenden Kriminalfall, medizinischen Fachwissen und einer sympathischen Protagonistin, die fachlich nicht immer sicher ist, aber letztlich auch ihr Können beweist, und menschlich berührt, macht diesen dritten Band zu einem Lesevergnügen mit Substanz. „Der Fluch der Aargauer Knochen“ ist der beste Beweis dafür, dass weder die gerichtsmedizinische Kriminalliteratur, noch die Schweiz als Schauplatz für packende Kriminalfälle auserzählt sind.
Saskia Gauthier, Der Fluch der Aargauer Knochen; Paperback, E-Book; Print 17,– € / E-Book 12,99 €, ISBN 978-3-8392-0762-8

Text: Birgit Kofler