Leichen lügen nicht

Buchcover Rabl Kofler

Eines der allerersten Interviews auf Medical Murder Mystery war mein Gespräch mit dem Gerichtsmedizin-Professor Walter Rabl – und es wurde nicht nur zum bisher meistgelesenen Blogbeitrag. Sondern auch zum Startpunkt für ein wunderbares gemeinsames Projekt. Es war Birgit Francan, die Verlagsleiterin von Ueberreuter, die ein gemeinsames Buchprojekt anregte. So entstand „Leichen lügen nicht“, das jetzt erschienen ist: Ein Buch, das aus Walter Rabls langjährige Erfahrung in der Gerichtsmedizin mit meiner Perspektive als Journalistin und Autorin verbindet.

Wie fasst man ein Buch zusammen, an dem man selbst monatelang gearbeitet hat? Vielleicht so: „Leichen lügen nicht“ist weder ein klassisches True-Crime-Buch noch ein Fachbuch, und auch kein Thriller – und doch irgendwie von allem etwas. Walter Rabl, der mehr als vier Jahrzehnte an der Innsbrucker Gerichtsmedizin tätig war, das Fach in Österreich entscheidend geprägt und viele Jahre als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin vertreten hat, beschreibt Fälle, die zeigen, warum der erste Eindruck so oft täuscht: aus Opfern können auch Täterinnen oder Täter werden, aus scheinbar eindeutigen Suiziden doch Morde – und manchmal rettet die Gerichtsmedizin sogar Leben.

Wenn Mythen auf Realität treffen

Das Buch räumt systematisch mit den Mythen und Klischees auf, die sich zum Teil über Krimiserien und Filme verbreitet haben. Walter Rabl zeigt auf, warum der berühmte Y-Schnitt forensisch problematisch ist, weshalb Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner nicht im Keller arbeiten und warum sie praktisch nie die Ersten am Tatort sind. Die Realität ist oft weniger dramatisch als im Film – aber umso faszinierender in ihrer wissenschaftlichen Präzision.

Es wird deutlich, wie selten spektakuläre Giftmorde tatsächlich sind und warum die moderne Toxikologie Tätern heute kaum noch Chancen lässt, unentdeckt zu bleiben. Die forensischen Methoden haben sich so weit entwickelt, dass selbst Substanzen nachweisbar sind, nach denen gar nicht gezielt gesucht wird.

Zwischen Wissenschaft und menschlichen Schicksalen

Walter Rabl berichtet von Fällen, die auch einen erfahrenen Gerichtsmediziner an seine emotionalen Grenzen bringen – insbesondere, wenn Kinder Opfer von Gewalt werden. Gleichzeitig zeigt er auf, wie die Gerichtsmedizin nicht nur Verbrechen aufklärt, sondern auch Unschuldige entlastet und Familien Gewissheit über die Todesursache ihrer Angehörigen gibt.

Die Kapitel über häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung machen deutlich, wie wichtig die Früherkennung von Gewaltmustern ist. Hier wird die Gerichtsmedizin zum Schutzinstrument für die Lebenden – ein Aspekt, der in der öffentlichen Wahrnehmung oft untergeht.

Ein wichtiges Thema des Buches ist die Korrektur eines weit verbreiteten Missverständnisses: Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner arbeiten keineswegs nur mit Toten. Der Großteil ihrer Arbeit betrifft Lebende – von der Untersuchung verdächtiger Verletzungen über DNA-Analysen bis hin zu toxikologischen Untersuchungen bei Verkehrskontrollen. An der Gerichtsmedizin Innsbruck etwa werden jährlich etwa 650 Obduktionen durchgeführt, aber 4500 toxikologische Fälle und mehr als 10.000 DNA-Analysen bearbeitet.

Plädoyer für mehr Obduktionen

Alarmierend sind die Fakten zum dramatischen Rückgang der Obduktionsraten. Während 1988 noch 35 Prozent aller Verstorbenen in Österreich obduziert wurden, sind es heute nur noch sieben Prozent. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die Aufklärung von Verbrechen, sondern auch die Qualität der Todesursachenstatistik und damit wichtige Grundlagen für Gesundheitspolitik und Prävention.

Dass wir auch schwierige Themen wie Walter Rabls Zeugenaussage gegen die Todesstrafe in Japan nicht ausgespart haben, zeigt, wie sehr er seine Expertise auch für gesellschaftlich wichtige Anliegen einsetzt.

Die Zusammenarbeit mit Walter Rabl an diesem Buch war eine außergewöhnliche Erfahrung. Seine Fähigkeit, komplexe medizinische Sachverhalte zu erklären, gepaart mit seiner jahrzehntelangen Praxis, hat jedes Kapitel zu einer spannenden Entdeckungsreise gemacht.

„Leichen lügen nicht“ ist mehr als ein Sachbuch über Gerichtsmedizin geworden – es ist ein Plädoyer für wissenschaftliche Präzision, ethische Verantwortung und den Einsatz für Wahrheit und Gerechtigkeit. Ein Buch, das zeigt: Die Realität der Forensik ist oft spannender als jeder Krimi – weil sie echt ist.

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