Hörspieltipp: Die letzte Visite

Es ist allerhöchste Zeit, dass ich – als bekennender Hörspiel-Junkie – in diesem Blog endlich einmal auf den großartigen SRF-Krimipodcast hinweise, der regelmäßig Krimschätze aus den unerschöpflichen SRF-Hörspielarchiven und witzige, spannende und höchst kreative Neuschöpfungen liefert. Kultige Ermittler und Polizistinnen, gesellschaftskritische Plots, immer kundig eingeführt, diskutiert und oft historisch eingeordnet von Susanne Janson und Wolfram Höll.
Heute kann ich das mit einer Hörempfehlung für einen wunderbaren Retro-Hörspielkrimi tun, der in unsere Medical Murder Mystery-Welt passt: „Die letzte Visite“ von Hans Gruhl, eine vierteilige Geschichte um ein Lungensanatorium im Wald.
Hier erwartet der Radiologe Dr. Johannes Bold eigentlich einen ruhigen Job. So kann man sich täuschen: Morphium wird aus dem Giftschrank gestohlen, und ein erster Todesfall lässt nicht lang auf sich warten: Oberschwester Anna wird tot gefunden, erschlagen von einem Stein. Ein Unfall scheint möglich, doch nachdem es Anna war, die das Fehlen von Morphium im Giftschrank bemerkt und angekündigt hat, den Dieb ausfindig zu machen, gibt es auch ein Mordmotiv. Als bald auch eine Flasche Streptomycin verschwindet und der Patient Dr. Bergius rasch verfällt und stirbt, wird die Atmosphäre im Haus bedrohlich. Schwester Inge scheint etwas zu wissen und will Dr. Bold mehr hierüber verraten. Dazu kommt es allerdings nicht mehr, Inge wird mit einem Skalpell erstochen. Der junge Röntgenarzt gerät ins Blickfeld und unter Verdacht, und beginnt daher, selbst nachzuforschen. Im Wettlauf mit Kommissar Nogees, der im Neuankömmling einen idealen Verdächtigen sieht.
Die Ermittlungen und Verdachtsmomente konzentrieren sich in der Folge auf die Personen im Haus: Ärzte, Krankenschwestern – ja, die Rollenteilung ist auch sehr 1970-er – und einige Kranke: Es fehlt nicht an möglichen Motiven wie finanziellen Interessen, Eifersucht, karrieristische Befindlichkeiten oder Kunstfehlern. Spannungen zwischen den Angehörigen des medizinischen Personals, widersprüchliche Alibis und kleine Indizien treiben die Dramatik, wobei das Tempo immer gemäßigt bleibt – aus heutiger Hörgewohnheit ziemlich langsam sogar. Der Reiz liegt in subtilen Dialogen, nach und nach schwindet immer mehr Vertrauen.
In den weiteren Teilen intensiviert sich die Bedrohung: weitere Opfer oder versuchte Tötungen heizen die Stimmung auf. Vermeintlich gut gehütete Geheimnisse, alte Konflikte kommen ans Licht. Der Kreis der Verdächtigen wird kleiner, persönliche Beziehungen werden offengelegt: Hinweise werden zusammengetragen, Indizien verknüpft und erste Hypothesen fallen. Im vierten Teil läuft alles auf das klassische Finale hinaus: die Aufdeckung des Täters, Erklärung des Motivs und die moralische Bilanz.
Das Hörspiel ist also klassischer „Whodunit“: Das Sanatorium bietet eine geschlossene Institution und einen überschaubarer Personenkreis, wir finden falsche Spuren, medizinische Motive und eine fortschreitende Enthüllungsstruktur über vier Teile. Eine klare Hörempfehlung!
Das nostalgisches Krimi-Vergnügen hat viel Retro-Charme: ruhige, dialoggetriebene Szenen, eine atmosphärische Geräusch- und Musikgestaltung, keine Action-Effekte, sondern Figurenzeichnung, Andeutungen und klassische Rätselarbeit. Die SRF-Produktion stammt aus dem Jahr 1970, basiert auf der Bearbeitung von Hans-Georg Berthold, ist unter der Regie von James Meyer entstanden, die Musik stammt von Hans Moeckel.
Im SRF-Podcast gibt es auch erhellendes Hintergrundmaterial zum Thema des Hörspiels, zum Beispiel begleitend zur ersten Episode des Krimis einen Beitrag über die Geschichte der Tuberkulose und ihrer Behandlung.
Neben der SRF-Produktion dieses Klassikers von Hans Gruhl, der sich auch in anderen seiner Hörspiele mit der Welt der Medizin beschäftigt hat, gibt es auch andere Fassungen. Etwa eine aus 1969 von SFB und WDR, ebenfalls in vier Teilen, die auch bei Pidax Film als CD erschienen und bei Audible zu finden ist.
Die SRF-Folgen gibt es im SRF Krimi-Podcast – direkt auf der SRF-Seite oder überall sonst, wo es Podcasts gibt.