Hans-Peter Hutter und Raoul Mazhar: Parasiten – Meister der Manipulation

Manchmal schreibt die Natur die besten Krimis. Und manchmal schreibt sie welche, bei denen selbst routinierte Thrillerautorinnen oder hartgesottene Krimifans die Luft anhalten. „Parasiten – Meister der Manipulation“ ist eigentlich ein populärwissenschaftliches Sachbuch. Aber die Geschichten darin sind so perfide, so überraschend und so spannend erzählt, dass es sich liest wie eine Sammlung biologischer True Crimes. Also ein Fall für unseren Medizinkrimi- und Forensik-Blog Medical Murder Mystery. Und eine klare Leseempfehlung zudem.

Das Vorwort der Bestsellerautorin Ursula Poznanski setzt den Ton. „Nie hätte ich gedacht, dass Parasiten so amüsant (und gleichzeitig erschreckend) sein können“, bekennt sie. Ein Satz, der das Buch treffender nicht einführen könnte. Schon nach den ersten Seiten findet man sich mitten in einer Welt wieder, in der winzige Täter fremde Körper kapern, Verhalten manipulieren und Spuren hinterlassen, deren Beschreibungen mitunter wie aus einem forensischen Lehrbuch klingen. Was wir lernen: Parasiten beeinflussen die Gesundheit, Evolution und das Zusammenleben von Menschen und Tieren massiv, und das oft auch auf gruselige Weise.

Das Universum, in dem nicht nur Menschenkörper, sondern ganze Tierarten zu Tatorten werden, schildert uns das Autorenduo Hans-Peter Hutter und Raoul Mazhar. Hutter ist Umweltmediziner und Public-Health-Experte in Wien, aus Interviews bekannt dafür, komplexe medizinische Zusammenhänge in klare, verständliche Bilder zu übersetzen. Mazhar ist seit mehr als einem Jahrzehnt Chefredakteur der Ärztewoche: ein Erzähler mit pointiertem Humor und Gespür für Dramaturgie. Gemeinsam schildern sie wissenschaftlich fundiert, aber immer auch gut verständlich, biologische Phänomene wie spannende Fallberichte. Sie bringen uns kenntnisreich näher, wie Mikroorganismen Verhalten umprogrammieren, Körper kapern und Evolutionsgeschichte mitschreiben können: präzise und oft makaber komisch. Vertrauen in Wissenschaft ist so notwendig, und es lebt von guter Erklärung der Zusammenhänge. Etwas, das den beiden Autoren von „Parasiten“ vortrefflich gelingt.

Parasiten sind unter anderem „elegante“, aber gefährliche und mitunter letale Einbrecher : Sie dringen unbemerkt in Organismen ein, übernehmen die Kontrolle, programmieren Opfer um und verschwinden erst wieder, wenn der Wirtskörper erschöpft, entkräftet oder tot ist.

So etwa der berühmte Ophiocordyceps-Pilz, dessen mutierte serientaugliche Version manche von uns zweifellos aus „The Last of Us“ kennen. Dieses Buch beschreibt die reale Version des Zombie-Pilzes. Er infiziert Ameisen, wächst in ihnen heran und übernimmt schließlich das Steuer: Er bringt die Tiere dazu, einen Grashalm hinauf zu klettern, in einer exakt vorgegebenen Haltung zu verharren und dort zu sterben – weil diese Position optimal für die Weiterverbreitung seiner Sporen ist. Kein „Suizid“, sondern ein biologisch programmierter letzter Weg.

Nicht weniger spannend und gruselig ist der Blick auf Plasmodium, den Erreger der Malaria – einen echten „Menschenparasiten“, der den Großteil seines Zyklus im menschlichen Körper verbringt. Die Autoren beschreiben, wie der Einzeller unsere Leber und unser Blut regelrecht in Schlachtfelder verwandelt, Zellen zum Platzen bringt, Fieberschübe synchronisiert und den Körper so umgestaltet, dass er für Mücken besonders attraktiv duftet. Ein Täterprofil mit ganz besonderer Raffinesse könnte man sagen – allerdings mit zahlreichen realen Opfern weltweit.

Andere unheimliche Beispiele aus der Thriller-Welt der Parasiten gefällig? Eine Maus verliert ihre Angst und spaziert todesmutig in den Rachen einer Katze. Ein Fisch tauscht seine Zunge gegen einen blutsaugenden Untermieter und macht pflichtbewusst weiter. Verantwortlich sind für das scheinbar unerklärliche Verhalten immer wieder die kleinen Übeltäter: Parasiten – unscheinbar, hochspezialisiert und erstaunlich angepasst.

Auch die Reise in die fossile Vergangenheit bietet diesbezüglich eine Menge Highlights: Saug- und Rundwürmer, die in prähistorischen Tierkörpern lebten, haben ihre Spuren in Dino-Koprolithen, also versteinerter Dinosaurier-Ausscheidung, hinterlassen. Man bestaunt forensische Untersuchungen von 100 Millionen Jahre alten „Beweisstücken“, die zeigen, wie Parasiten seit Anbeginn des Lebens Organismen gekapert und „genutzt“ haben.

Wissenschaftsthriller, der niemals trocken wird

Zu den Besonderheiten dieses Buchs gehört seine Tonlage: humorvoll, respektvoll, leichtfüßig – und doch wissenschaftlich präzise. Ein lebendiges Beispiel dafür also, dass Wissenschaft lebendig erzählt und überraschend vermittelt werden kann. Hutter und Mazhar erklären keine Biologie, sie erzählen eine regelrechte Kriminalgeschichten der Evolution. Jede Seite enthält neue Überraschungen: eine Verhaltenssteuerung, die raffinierter ist als jeder manipulierte Krimiprotagonist; ein Lebenszyklus, der wie ein perfekt ausgeklügelter Tatplan wirkt; oder eine Spur, die im Fossil oder im Bernstein sichtbar wird.

Das Buch zeigt eindrucksvoll, wie sehr die Natur bereits vor Jahrmillionen Spuren der parasitären Übeltäter hinterlassen hat: Fraßspuren, vernarbte Gewebe, mikroskopische Gangstrukturen, DNA-Reste in urzeitlichen Ausscheidungen. Alles biologische Archivstücke, die fast wie Fallakten klingen. Und zugleich werden die vielfältigen und flexiblen Schmarotzer nicht nur als gefährliche Täter präsentiert. Das Buch macht auch deutlich, wie relevant sie als zentrales Forschungsthema für Medizin, Immunologie oder Epidemiologie sind, um Zusammenhänge besser zu entschlüsseln und EAnsätze für globale Gesundheitsthemen zu finden.

Auch wenn „Parasiten – Meister der Manipulation“ keine herkömmlichen medizinische Kriminalfälle behandelt, gehört das Buch doch genau in eine Welt, mit der sich Medical Murder Mystery üblicherweise beschäftigt: Es zeigt biologische Täter, die fremde Organismen kapern, sie manipulieren und entwurzeln. Und es zeigt, wie diese Taten untersucht, entschlüsselt und rekonstruiert werden. In gewisser Weise ist es ein Lehrbuch darüber, dass jeder Körper – menschlich oder tierisch – zum Tatort von Parasiten werden kann und dass die raffiniertesten Täter oft unsichtbar sind.

Gerade weil diese Perspektive so ungewöhnlich ist, ist das Buch so spannend: Es ist ein naturwissenschaftlicher Thriller, der ohne Fiktion auskommt und dennoch vergnüglicher zu lesen ist als so mancher konstruierte Plot. Die Autoren nutzen den Reiz des Grusels, um Leserinnen und Leser hineinzuziehen in die Erzählung, mit der sie fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln.

„Parasiten – Meister der Manipulation“ ist ein ungewöhnliches, kluges, gelungenes Buch, das die Kraft der Evolution zeigt und die Welt der Parasiten als eine Galerie biologischer Anpassungsgenies präsentiert. Wer  Medizinkrimis und -thriller mag, wird wohl auch diese Geschichte der Parasiten spannend finden.

Foto: (c) Raoul Mazhar; Cover: (c) Uebereuter Verlag

Hans-Peter Hutter / Raoul Mazhar: Parasiten – Meister der Manipulation. Von ferngelenkten Fischen, Zombie-Ameisen und willenlosen Menschen. Wien, Ueberreuter Verlag 2025, 272 Seiten. 

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